Ich, Du, ein Flugobjekt
„Fliegen Üben“, eine Co-Produktion vom Berlocken Theaterkollektiv und dem FELD-Theater, gastiert als relaxte Performance in der Schaubude in der Greifswalder Straße
von Maria-Magdalena Kraft
Ein gefaltetes Blatt Papier segelt als Flieger von einer Seite der Bühne zur nächsten: leise, schwungvoll, elegant. So gelingt der Einstieg in das Stück. Während die Kinder direkt vom papiergefalteten Auftakt in Beschlag genommen sind, zeigen sich auch schon die beiden, die eine knappe Stunde Flugübungen vorführen werden. In rot und blau leuchtenden Hosen steht das Tanz-Duo Meriel Brütting und Laura Hagemann – wie die Erfinder- und Tüftel Gebrüder Wright – zusammen und testet unablässig alles aus, was fliegen kann. Sie flattern, trudeln, landen. Sie sind eine Fliege, ein Luftballon oder Vögel und sie haben ein Ziel: Sie bauen gemeinsam etwas. Na klar! Ein Flugzeug.
Die musikalische Untermalung von Jonathan Reiter setzt erst etwas später an diesem Nachmittag ein, als fliegende Mini-Klangteppiche, die mitunter etwas sakral anmuten, wenn zum Beispiel die Flügel an das Fluggerät angebaut werden. Oder mal etwas aufregend unheimlich, erinnernd an den Synthesizer-Sound der späten 1980er- und frühen 1990er Jahre. Das geschieht sehr reduziert. Mit Sounds malt das Kollektiv auch gewittrige Klänge in den Raum. Der Klang eines Propellers wird mit Drum ́n ́Bass montiert. Die einzelnen Flugübungen werden locker nacheinander geschaltet; eine kleine Sensation folgt der nächsten. Als Erholung atmen die Performerinnen zwischendurch immer wieder die Luft eines Wiesenstücks ein, denn hier gibt es buchstäblich die nächste Inspiration. Sie schöpfen Atem und Ruhe, um wieder gemeinsam in die Luft zu gehen und miteinander der Schwerkraft zu entkommen.
Die Sitzgelegenheiten im Saal sind mit Sitzsäcken bequem für die Kinder in der ersten Reihe gestaltet, der Saal ist generell mit weniger Menschen besetzt, was dem Konzept der relaxten Performance folgt. Auch das Licht geht während der gesamten Vorstellung nie komplett aus und erzeugt daher nicht das typische Theaterdunkel.
Die 5-köpfige Kinderjury des Festivals ist gespannt dabei und kritisch interessiert. Dem roten Faden der Performance zu folgen ist manchmal gar nicht so leicht – es wird nämlich, während die viele Arten des Fliegens probiert werden, zwischendurch das Flugobjekt gebaut. Das Finale kommt dann etwas plötzlich. Nach der Aufführung warten Knete, Klebstoff, Papier und Schere im Foyer auf ihre Anwendung.
Im Anschluss des Stücks, von mir zu ihren Erfahrungen und Überlegungen zu dezidiert inklusiv gedachtem und gemachtem Theater befragt, erzählen Meriel Brütting und Laura Hagemann, dass besonders die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema eine wichtige Rolle spielte, denn das Stück haben sie zusammen mit einer Schulklasse erarbeitet. Wie können die tänzerischen Elemente wahrgenommen und verstanden werden? Wie kann man was zeigen? Ein spannender Prozess des Austausches ist dies allemal. Das spiegeln auch die Requisiten wider – so besteht zum Beispiel das Fahrwerk des Flugzeugs aus Rollstuhlrädern mit Handlauf.
In diesem Jahr sind etwa ein Drittel aller Vorführungen des „Berliner Schaufensters“ sogenannte „relaxed performances“, was bedeutet, dass zum Beispiel – wie bei „Fliegen Üben“ – vor der Vorstellung gemalt werden darf. So kann das Thema Fliegen schon mal im eigenen Kopf und bis in die Stiftspitzen hinein aktiviert werden. Die Tanzperformance selbst kommt gänzlich ohne Sprache aus. Angekündigt wird dies als ein inklusives Element für Menschen, die taub oder hörgeschädigt sind. Interessant, dass dies so ausbuchstabiert wird. Die Abwesenheit oder der sehr sparsame Einsatz von gesprochenen Worten ist doch schon immer eine besondere Kraft des Tanzes: Es sprechen die Körper und / oder Dinge. Aber auch das Selbstverständliche muss immer wieder ausgesprochen werden, damit es selbstverständlich bleibt.
Klang, Musik und Licht dürften allgemein im Kinder- und Jugendtheater feinsinniger und herzhafter Verwendung finden. Durch den enthusiastischeren Einsatz von Lichtinszenierung, oder etwa mit Druck-Wellen und Vibrationen, in Form von Sub-Bässen oder Luftzügen. Im Prinzip also klassische theatereigene Mittel, mit denen konkrete Effekte wahrnehmbar werden. So kann das leibhaftige Spüren gleichberechtigt neben der Abstraktion im Kopf der Zuschauer:innen stehen.
Neben all diesen Überlegungen und Angeboten zum Thema Inklusion und auch der Demokratisierung, stellt sich insgesamt die Frage nach der Darstellungskraft und erkenntnisorientierten, begreifbaren Exemplarität (Thema Fliegen und Flugzeugbau). Was zeigen die Flugübungen? Gelingt es zum Spiel zu animieren, selbst zu verstehen, zu machen, zu entwickeln? In weiten Teilen glückt dies im Stück. Die Gedanken fliegen.
Die Körperlichkeit in „Fliegen Üben“ ist spürbar, einnehmend und oft auch verlockend auffordernd. Zudem ist die Rahmung des Stücks, mit der gemeinsamen Zusammenkunft des Publikums davor und dem Austausch danach, sehr lohnenswert, für Menschen von 6 bis 99 Jahren, mit sprachlichen Hürden, mit und ohne Gehör.